Grußwort beim Arbeitsmarktlab

30. März 2022

Sehr geehrter Herr Cornelius, sehr geehrter Herr Staatssekretär Dr. Rapp, lieber Herr Kollege Ali, sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für die Einladung und die Möglichkeit, hier sprechen zu können.

Grundsätzlich ist das Problem seit Jahren bekannt – mittlerweile sprechen wir sogar nicht mehr von einem Fachkräftemangel, sondern von einem Arbeitskräftemangel, der über alle Qualifikationsstufen hinweg geht. Gastronomen finden keine Servicekräfte, Bäckereien keine Lehrlinge und keine Verkäuferinnen und Verkäufer; ob Baufirmen oder Pflegedienste – hinten und vorn fehlen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und solche Trends sind langlebig – dieser Mangel wird nicht auf die Schnelle verschwinden, sondern uns noch jahrelang begleiten.

Herr Andreas Finke, der Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Freiburg, hat kürzlich vor allem drei große Hebel skizziert, wie dieser Arbeitskräftemangel adressiert werden muss:

  • Erstens: Es braucht Möglichkeiten der Anpassungsqualifizierung im Job, damit Menschen gar nicht erst arbeitslos werden.
  • Zweitens: Es braucht Arbeitskräfteeinwanderung. Hier haben wir in der Ampel ja auch einiges geplant mit der Weiterentwicklung des Einwanderungsrechts sowie mit dem Abbau von Hürden bei der Anerkennung von Abschlüssen.
  • Und drittens – und dieses Thema möchte ich an dieser Stelle besonders in den Fokus rücken – die Erwerbsbeteiligung von Frauen muss gesteigert werden.

Denn die Erwerbsbeteiligungsquote von Frauen steigt zwar seit Jahren an und Deutschland steht hier grundsätzlich gut da, allerdings kommt diese hohe Quote leider nach wie vor sehr stark von einem Anstieg der Teilzeitbeschäftigung. Die Anzahl der in Vollzeit arbeitenden Frauen hat sich im letzten Jahrzehnt hingegen kaum verändert, in fast allen anderen EU-Ländern liegt diese Quote höher als in Deutschland.

Insgesamt liegen also sowohl (a) in einer weiteren Erhöhung der Erwerbsbeteiligungsquote von Frauen als auch (b) in der Erhöhung der Vollzeitquote oder auch nur der durchschnittlichen Arbeitszeit von Frauen riesige Potentiale, um den Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel in Deutschland anzugehen; Frau Steger von der Kontaktstelle Frau und Beruf Freiburg hat mir folgende eindrucksvolle Statistik genannt: Würden Frauen im Schnitt nur eine Stunde mehr arbeiten, so wäre das das Äquivalent mehr als 100.000 Vollzeitstellen.

Was diesen Weg den Arbeitskräftemangel anzugehen, also dass Frauen im Schnitt mehr arbeiten, besonders attraktiv macht: Dieses Potential ist nicht nur besonders groß, es liegt auch nicht so tief vergraben wie andere Potentiale. Zur Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen müssen nicht erst Menschen zur Umschulung motiviert oder passende Berufsgruppen identifiziert und zur Einwanderung nach Deutschland motiviert werden.

Nein:

  • Viele Frauen mit Teilzeitjobs würden tatsächlich gerne ihre Stundenzahl erhöhen!
  • Und bei den Frauen, die aktuell nicht am Erwerbsleben teilnehmen, geben über 40 Prozent als Grund an, dass sie Kinder oder Familienangehörige betreuen müssen.
  • Gleichzeitig ist die Mehrzahl der nicht erwerbstätigen Frauen gut ausgebildet.

Wie kann dieses riesige Potential also aktiviert werden?

Durch eine moderne und progressive Gleichstellungspolitik.

Um den Arbeitskräftemangel anzugehen, müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, dass Frauen so viel arbeiten können, wie sie möchten – und nicht nur so viel, wie sie neben Kinderbetreuung und sonstigen Care-Aufgaben schaffen. Gleichstellungspolitik ist auch Arbeitsmarktpolitik.

Die wirkungsvollsten Mittel für eine Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit sind eine gerechte Besteuerung und ein Ausbau der Kinderbetreuung.

Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb beschlossen, die Familienbesteuerung weiterzuentwickeln und die Steuerklassen III und V zugunsten des Faktorverfahrens der Steuerklasse IV abzuschaffen. Das ist ein richtiger Schritt zur Stärkung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen, und ich persönlich hoffe, dass es uns irgendwann auch gelingt, das Ehegattensplitting abzuschaffen.

Außerdem wollen wir für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Kinderbetreuung und die Ganztagsbetreuung in der Grundschule zusammen mit den Ländern weiter vorantreiben.

Darüber hinaus machen wir Frauen den Weg aus der Teilzeit leichter, in dem wir die Regelung zur Brückenteilzeit verbessern und nicht zuletzt verlängern wir den Kündigungsschutz nach der Elternzeit um drei Monate nach Rückkehr in den Beruf, um den Wiedereinstieg abzusichern.

Insgesamt bleibt festzuhalten: Alle drei Hebel – Anpassungsqualifizierung, Arbeitskräfteeinwanderung und die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen – sind zentral, um den Arbeitskräftemangel anzugehen. Und selbstverständlich versuchen wir als Politik an allen drei „großen Hebeln“ gleichzeitig zu arbeiten – und wir drehen natürlich auch weiter an weiteren Stellschrauben: an guten Ausbildungsvoraussetzungen beispielsweise oder an Regelungen, die älteren Erwerbstätigen auch wirklich ermöglichen, bis zum Renteneintrittsalter zu arbeiten, so sie das können und wollen.

Doch es ist auch klar: Alleine kann die Politik diese Herausforderung nicht lösen – stattdessen müssen Politik, Arbeitgeberinnen, Arbeitsagenturen und die Gesellschaft gemeinsam an einem Strang ziehen. Ich freue mich deshalb auf die heutige Veranstaltung, die genau diesen Austausch ermöglicht.