In der Nähe meines Wahlkreises in der deutsch-französischen Grenzregion liegt der Hartmannswillerkopf. Diese Bergkuppe inmitten der Vogesen steht sinnbildlich für die Feindschaft Deutschlands und Frankreichs während der schrecklichen Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts. Wegen seiner exponierten Lage war der Gipfel im Ersten Weltkrieg schwer umkämpft. Rund 30 000 Soldaten beider Länder ließen allein dort ihr Leben. Die gut erhaltenen Schützengräben zeugen vom erbitterten Stellungskampf. Im Zweiten Weltkrieg verloren dort 360 000 Französinnen und Franzosen ihr Leben, darunter etliche zivile Opfer des Naziterrors.
Der Blick über die Rheinebene in meiner Heimat hinweg ins Nachbarland lässt mich oft darüber nachdenken, wie dankbar wir sein müssen, dass wir diese dunkelsten Kapitel hinter uns gelassen haben, dass Aussöhnung ermöglicht wurde und dass aus sogenannten Erbfeinden engste Freunde wurden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Das ist für mich die vielleicht größte Errungenschaft in der Geschichte unseres Kontinents.
Dieses historische Glück bedeutet auch Verantwortung. Seit fast einem Jahr tobt Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine in unweiter Nachbarschaft, der gezielt grausames Leid über die Zivilbevölkerung bringt. Es ist unsere gemeinsame Pflicht, die Ukraine mit aller Entschlossenheit mit unseren Partnern zu unterstützen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Gleichzeitig müssen Deutschland und Frankreich nun Lehren aus Fehlern und den multiplen Krisen ziehen. Zu Recht wollen wir uns ja endlich von fossilen Energien lösen, und wir drängen gemeinsam auf mehr europäische Handlungsfähigkeit, auf eine starke und eine geopolitische EU, die dafür aber auch institutionell gewappnet sein muss.
Frankreich ist mehrfach mit strategischen Zielsetzungen wie der europäischen Souveränität und mit Initiativen wie der Zukunftskonferenz vorangegangen. Zuletzt hat Präsident Macron eine industriepolitische Strategie vorgeschlagen. Man muss nicht alles richtig finden – ein Handelskonflikt mit den USA ist sicher nicht in unserem Interesse -; aber jetzt ist eben die große Aufgabe, all diese Themen gemeinsam zu diskutieren, als Deutschland auch eigene Vorschläge einzubringen und dann verbindende und gesamteuropäische Lösungen zu finden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Die deutsch-französische Zusammenarbeit, die vor 60 Jahren im Élysée-Vertrag besiegelt wurde, legte den Grundstein für das größte Friedensprojekt unserer Zeit: die Europäische Union. Erst durch den Versöhnungsprozess der ehemaligen Erbfeinde konnte sich die intergouvernementale und supranationale Zusammenarbeit der Gründungsmitglieder entfalten. Die deutsch-französische Beziehung war also von Beginn an ein strukturierendes Element der EU. Immer dann, wenn sich Deutschland und Frankreich trotz unterschiedlicher Perspektiven einig wurden, sind wir weitere Schritte im Integrationsprozess gegangen und haben dafür gesorgt, dass Europa noch enger zusammenwächst.
2019 haben wir uns mit dem Vertrag von Aachen zu einer vertieften bilateralen Zusammenarbeit zum Beispiel auch in der Sicherheits- und in der Klimapolitik verpflichtet. Die Gründung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung in diesem Zuge und des AGZ war ein wirklich wichtiger Meilenstein. Ich möchte mich bei allen Mitgliedern dieses Hauses und der Assemblée nationale herzlich bedanken, die diese Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung ins Leben gerufen haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
In der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit brauchen wir aber neuen Schwung. Es ist kein gutes Zeichen, wenn Projekte, die im Vertrag von Aachen verankert sind, wie zum Beispiel grenzüberschreitende Bahnlinien, sich wegen ungelöster Finanzierungsfragen ewig hinziehen, obwohl sie eigentlich alle Seiten wollen.
Von Beginn an eine tragende Säule unserer Freundschaft war der deutsch-französische Jugendaustausch. Das Deutsch-Französische Jugendwerk leistet hier herausragende Arbeit und hat seit 1963 10 Millionen jungen Menschen einen Austausch ins Nachbarland ermöglicht. Aktuelle Umfragen zeigen auch, dass bei Jugendlichen der Zuspruch zur deutsch-französischen Zusammenarbeit in Europa wirklich groß ist. Das ist eine wunderschöne Nachricht.
(Beifall der Abg. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Nach 60 Jahren ununterbrochener Freundschaft freue ich mich auf die nächsten Kapitel in der Geschichte dieser einmaligen Beziehung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)