Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bundesaußenministerin!
Erst im vergangenen Jahr durften wir das 60-jährige Bestehen des Élysée-Vertrags feiern – ein Vertrag, den Bundeskanzler Adenauer und Präsident de Gaulle nach den Abgründen des 20. Jahrhunderts schlossen, zu einem Zeitpunkt, als die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich unvorstellbar schien. Und doch wurde sie Realität und der Élysée-Vertrag damit zur Grundlage unserer engen Freundschaft, einer Freundschaft, die Jahrzehnte des europäischen Integrationsprozesses prägen sollte und hoffentlich auch in Zukunft starke Impulse für ein geeintes und souveränes Europa setzen wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Dieses historische Versprechen, zum Zusammenwachsen Europas beizutragen, einander zugewandt zu sein und sich auch in stürmischen Zeiten beizustehen, haben unsere beiden Länder mit dem Vertrag von Aachen vor fünf Jahren bekräftigt und erneuert. Und dieses Jubiläum wollen wir heute mit der angemessenen Würde in diesem Hause feiern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der FDP)
Mit dem Vertrag von Aachen sind zahlreiche und sehr erfolgreiche Deutsch-Französische Institutionen geschaffen worden. Der Deutsch-Französische Bürgerfonds fördert zivilgesellschaftliche Projekte zwischen unseren beiden Ländern, die Europa erlebbar machen. Das Deutsch-Französische Zukunftswerk entwickelt Visionen und Politikempfehlungen, zum Beispiel zum Klimaschutz in Kommunen. Mit einer Reihe von neugegründeten deutsch-französischen Kulturinstituten leben wir unsere Freundschaft in aller Welt. All diese Beispiele sind Errungenschaften des Vertrags von Aachen, und sie zeigen auch: Unser Anspruch an die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich geht weit über Symbole, Zeremonien, Regierungstexte hinaus. Und heute steht auch nicht mehr ausschließlich die Überwindung der traumatischen Kriegserfahrungen im Vordergrund, auch
wenn es in diesen Zeiten leider aktueller denn je ist, an die zerstörerischen Folgen von Hass und Faschismus zu erinnern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Es geht in der deutsch-französischen Beziehung vor allem darum, nach vorne zu blicken und in einer immer komplexeren Welt gemeinsam zu navigieren und Orientierung zu bieten. Und ja, dazu gehört auch Ehrlichkeit, die die Deutsch-Französische Freundschaft ja auch auszeichnet. Deswegen müssen wir festhalten: Der Vertrag von Aachen bietet Potenziale, die wir noch nicht ausgeschöpft haben.
Erstens ist ein wichtiges Ziel des Aachener Vertrags, unsere sicherheits- und verteidigungspolitischen Zielsetzungen und Strategien einander anzunähern und eine gemeinsame militärische Kultur bei unseren Streitkräften zu etablieren. Auch wollen wir trotz unterschiedlicher Sichtweisen gemeinsame Ansätze bei der Beschaffung und beim Export von Rüstungsgütern entwickeln. Im Schicksalsjahr 2024 bekommen all diese Vorhaben eine ganz besondere Dringlichkeit. Eine Wiederwahl Donald
Trumps in den USA, ein Rückzug der USA aus Strukturen wie der NATO sind Szenarien, vor denen wir nicht die Augen verschließen dürfen.
Deutschland und Frankreich tragen eine Verantwortung dafür, eine starke europäische Sicherheitsordnung zu schaffen. Mit einer neuen demokratischen Regierung in Warschau setze ich meine Hoffnung zudem in die enge Zusammenarbeit Deutschlands und Frankreichs mit Polen im Rahmen des Weimarer Dreiecks und darauf, auch hier das Verbindende statt das Trennende zu suchen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Zweitens. Wenn Bürgerinnen und Bürgern der Vertrag von Aachen geläufig ist, was in der deutsch-französischen Grenzregion durchaus der Fall ist, dann liegt das an den vereinbarten grenzüberschreitenden Projekten. Hier gibt es leider noch zu wenige Erfolgsmeldungen. Es ist zum Beispiel beim Zukunftsprozess zur Nachnutzung des AKW-Standorts Fessenheim nicht gelungen, rechtzeitig eine gemeinsame Strategie zu verfolgen. Beim Bahnprojekt Freiburg–Colmar werden die Menschen in der Region zu Recht immer ungeduldiger. Es ist richtig, aktuell eine gemeinsame Grundlage zu schaffen in Form einer belastbaren Analyse zum Fahrgastpotenzial; aber dann muss es endlich mal zügiger gehen, und es muss endlich eine Finanzierungsvereinbarung zustande kommen. Ich kann zudem aus dem Ausschuss für Grenzüberschreitende Zusammenarbeit berichten, dass wir dort noch nicht ganz den Modus gefunden haben, ungelöste Probleme in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit umfassend bearbeitet zu bekommen. Die Experimentierklausel aus dem Aachener Vertrag findet bislang noch keine Anwendung. Da sind wir alle gefragt, auch als Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Die Aufgabenliste bleibt also lang. Lassen Sie uns deshalb anpacken und mit politischem Mut die Deutsch-Französische Freundschaft mit Leben füllen in Dankbarkeit für das, was schon erreicht wurde, und mit Zuversicht für das, was noch kommen wird. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)