Chantal Kopf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Außenministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in Zeiten, in denen gefühlt jede Woche etwas Historisches passiert, und dennoch sollte man diesen Begriff nicht überreizen. Aber wenn es uns nun wirklich gelingt, das deutsch-polnische Verhältnis auf eine neue Stufe zu heben, dann ist das ein historischer Schritt und eine wunderbare Nachricht für ganz Europa.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Klar ist auch: Wir sollten nicht so tun, als hätten wir bisher gar keine Partnerschaft mit Polen gehabt, als stünden wir vor einer Tabula rasa; das wäre nicht richtig. Aber die proeuropäische, konstruktive, zugewandte Haltung der neuen polnischen Regierung und ihrer Abgeordneten ist einfach echt ein Grund, dankbar und hoffnungsvoll zu sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Diese Entwicklung sollte uns auch als Motivation dienen, selbst mehr Verantwortung für Europa zu übernehmen. Seien wir ehrlich: Der Europawahlkampf all unserer Parteien war stark auf nationale Antworten gemünzt. Seien wir ehrlich: Wie oft geht es hier im Haus bei Debatten zum Europäischen Rat um nationale Themen? Es ist manchmal vielleicht vergleichsweise einfach, innenpolitisch zu punkten, manchmal vergleichsweise schwierig, komplexe europäische Fragestellungen und Entscheidungsprozesse zu diskutieren, bei denen es oft ja noch keine fertigen Antworten entlang parteipolitischer Linien gibt. Für mich macht das auch ein Stück weit den Reiz der Europapolitik aus, und es ist einfach umso wichtiger, dass wir mehr darüber sprechen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Aktuelle Fragen sind zum Beispiel: Wie machen wir die EU fit für die Erweiterung und gleichzeitig handlungsfähiger? Wie schützen wir die Rechtsstaatlichkeit besser? Und wie finden wir Antworten auf neue Aufgaben wie die Erweiterung, die Finanzierung von europäischer Sicherheit, einen wirtschaftlich erfolgreichen Green Deal, wenn gleichzeitig die Strukturen im EU-Haushalt doch derzeit nur sehr begrenzt gestaltet werden können? Deutschland steht bei diesen Themen mehr denn je in Verantwortung. Wir müssen, so gut es weiterhin geht, mit Präsident Macron zusammenarbeiten. Aber wir müssen jetzt auch ganz dringend möglichst viele Übereinstimmungen mit unseren polnischen Freunden finden.
Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass im Deutsch-Polnischen Aktionsplan eine enge Zusammenarbeit bei internen Reformen vereinbart ist, sodass die Reform-Roadmap des Europäischen Rats mit Leben gefüllt wird. Ich freue mich ebenso, dass wir den Austausch auf parlamentarischer Ebene im Format des Weimarer Dreiecks im September hier in Berlin fortführen werden. Auf jeden Fall sehr überlegenswert sind auch bilaterale Formate wie eine deutsch-polnische parlamentarische Versammlung, die jetzt ein paar Mal erwähnt wurde. Wenn wir darüber nachdenken, welche Errungenschaften der deutsch-französischen Freundschaft wir auf unsere Zusammenarbeit mit Polen übertragen könnten, müssen wir natürlich auch immer erst mal die Wünsche unserer polnischen Freunde hören, und wir sollten auch aus den Erfahrungen mit den deutsch-französischen Institutionen lernen.
Eine Lektion für mich ist, dass wir in Zeiten stabiler Beziehungen konkrete Projekte schneller zum Erfolg führen müssen und dabei nicht knausern dürfen. Es ist deshalb klasse, dass sich Infrastrukturprojekte wie die bauliche Erhaltung von Grenzbrücken und das deutsch-polnische Freundschaftsticket im Aktionsplan wiederfinden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Im sicherheitspolitischen Bereich ist die gemeinsame Stärkung der NATO-Ostflanke ein zentrales Vorhaben, das konkret ausgestaltet werden kann und muss.
Eine andere ehrliche Lektion ist aus meiner Sicht: Wir sollten weniger beklagen, dass nicht so viele junge Menschen die Sprache des Nachbarn beherrschen, sondern sie stattdessen bei Vorhaben unterstützen, in denen sie für sich einen Mehrwert und Freude finden. Ich bin daher dankbar für das deutliche Bekenntnis zur deutsch-polnischen Jugendzusammenarbeit und zu einem starken Deutsch-Polnischen Jugendwerk im Aktionsplan.
Abschließend möchte ich noch einmal klar betonen: Viele EU-Länder stecken gerade in einer finanziell schwierigen Lage. Jetzt an europäischer Verteidigung oder an unserer Beziehungspflege untereinander in Europa zu sparen, würde aber genau einem helfen, nämlich Wladimir Putin, und uns in Gefahr bringen.
Ich bin sicher: Mit einer gewissen Weitsicht, mit Verständnis für die polnische Wahrnehmung der historisch-moralischen Verantwortung Deutschlands und mit Verständnis für die aktuelle polnische Bedrohungswahrnehmung können wir auch unsere Zusammenarbeit ganz konkret besser weiterentwickeln, bei allen schwierigen Themen von EU-Reformen bis zur Oder. Der Deutsch-Polnische Aktionsplan ist dafür der richtige Start.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)