Rede zum Europäischen Vereinsrecht

17. November 2023

Information: Diese Rede wurde „zu Protokoll“ gegeben. Die Parteien haben sich darauf geeinigt, Reden zu Protokoll zu geben, statt sie im Plenum zu halten, wenn die Plenarsitzung sich sonst bis weit in die Nacht ziehen sollte.

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Sehr geehrte Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

eine starke Demokratie lebt von einer aktiven Zivilgesellschaft. Das gilt auch für die europäische Demokratie! Zivilgesellschaftliche Akteure, wie zum Beispiel Vereine, bereichern unser gesellschaftliches, politisches und kulturelles Zusammenleben, in Deutschland, aber auch auf europäischer Ebene.

Um die grenzüberschreitende europäische Arbeit von Vereinen zu unterstützen, hat die Europäische Kommission einen Vorschlag vorgelegt. Dieser sieht vor, die Gründung von europäischen grenzübergreifenden Vereinen als eine neue Rechtsform zu ermöglichen, als Ergänzung zu den jeweiligen nationalen Rechtsformen.

Der Vorschlag der Kommission basiert auf einem Initiativbericht des Europäischen Parlaments von 2022, der von Sergey Lagodinsky von den Grünen vorangetrieben, aber auch von der EVP unterstützt und mitbeschlossen wurde! Dieser Bericht des Parlaments ging in seinen Forderungen sogar weiter, als der vorliegende Richtlinienvorschlag der Kommission.

Ein europäisches Vereinsrecht ist dringend notwendig, um die Zivilgesellschaft europaweit zu unterstützen. Wir sehen, dass Nichtregierungsorganisationen und Vereine in anderen Mitgliedstaaten unter Druck geraten. Antiliberale Regierungen versuchen, die lebendige Zivilgesellschaft gezielt zu schwächen. Das Gesetz zur Diskreditierung ausländisch finanzierter Vereine in Ungarn, welches zu einem Artikel-7-Verfahren geführt hat, ist nur ein Beispiel. Um Vereine auch dort zu stärken, wo Freiräume für die Zivilgesellschaft systematisch eingeschränkt werden, brauchen wir das europäische Vereinsrecht, das wir als Ampelkoalition unterstützen.

Das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit von Vereinen ist zudem in den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen nach wie vor nicht umfassend unterstützt. Die unterschiedlichen bestehenden Rechtsformen für Vereine werden in der EU nicht gleich behandelt. So entsteht Rechtsunsicherheit. Die transnationalen Tätigkeiten und die grenzüberschreitende Mobilität der Zivilgesellschaft wird eingeschränkt und Vereine sind mit rechtlichen und bürokratischen Hürden konfrontiert.

In Ihrem Antrag zweifeln Sie die Rechtsgrundlage des Kommissionsvorschlages an – nämlich Artikel 50 und 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Diese Artikel beziehen sich auf die Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit sowie das Funktionieren und die Vollendung des Binnenmarktes. Mit dem Vorschlag verfolgt die Kommission das Ziel, Vereinen die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und die Wahrnehmung der Freizügigkeitsrechte zu erleichtern. Der Vorschlag trägt somit zum Funktionieren des Binnenmarktes bei.

Um es noch einmal klarzustellen: der Vorschlag der Kommission bezieht sich auf Vereine ohne Erwerbszweck. Dennoch haben genau diese Vereine zweifelsfrei eine wirtschaftliche Relevanz. Auch Vereine ohne Erwerbszweck dürfen sich wirtschaftlich betätigen, solange die erwirtschafteten Gewinne dem Zweck des Vereins dienen. Auch in Deutschland dürfen sich Vereine wirtschaftlich betätigen, wenn sie gemeinnützige Zwecke verfolgen. Kurzum: auch Vereine ohne Erwerbszweck sind wichtig für unseren gemeinsamen Binnenmarkt, der dieses Jahr seit 30 Jahren besteht.

Die kombinierte Rechtsgrundlage aus Artikel 50 und Artikel 114 verdeutlicht, dass mit der vorgeschlagenen Richtlinie nicht nur die Niederlassungsfreiheit erleichtert, sondern auch sichergestellt werden soll, dass Vereine ohne Erwerbszweck in vollem Umfang den freien Warenverkehr nutzen, eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und Dienstleistungen in Anspruch nehmen können. Daher ist Artikel 114 in Verbindung mit Artikel 50 unserer Auffassung nach sehr wohl eine sehr geeignete Rechtsgrundlage.

 

Die neue vorgeschlagene Rechtsform des europäischen grenzübergreifenden Vereins, welche es bisher noch nicht gibt, wird die deutsche Rechtsform des eingetragenen Vereins nicht überlagern, sondern lediglich ergänzen. Sie reduziert den bürokratischen Aufwand für Vereine, die grenzüberschreitend tätig sind und ist daher ein bedeutsamer Fortschritt für die gesamteuropäische Zivilgesellschaft und Menschen, die sich engagieren.